Von der Erfindung zum Spin-Off - Wie das Fraunhofer IPMS mit der Ausgründung Arioso Innovation in die Anwendung bringt

Das Fraunhofer IPMS hat im Oktober 2019 das Spin-off-Unternehmen Arioso Systems GmbH gegründet. Ziel der Firmengründung war es, ein innovatives Schallwandlerprinzip für miniaturisierte Kopfhörer (auch "Hearable" genannt) auf den Markt zu bringen. Diese sprachgesteuerten Multitalente werden im Ohr getragen und können dank der einzigartigen Nanoscopic Electrostatic Drive (NED)-Technologie des Fraunhofer IPMS in Zukunft sogar die Internetkommunikation vollständig übernehmen. Wir sprachen mit Dr. Herrmann Schenk, Chief Operating Officer des Fraunhofer IPMS - Spin-off-Unternehmens, über die Gründe dafür.

Dr. Hermann Schenk, Managing Director Arioso Systems GmbH.
© Fraunhofer IPMS
The NED technology of Fraunhofer IPMS extends the application possibilities of Hearables.

Welches Ziel verfolgt das Fraunhofer IPMS mit der Gründung des Spin-Off?

Gründergeist ist wichtig für Spitzentechnologie. Mit unserem Spin-off möchten wir eine völlig neue Audio-Technologie in den Markt bringen und damit unseren Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit der Industrie in Deutschland leisten. Der Geschäftszweck der IPMS-Ausgründung Arioso Systems GmbH ist speziell die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung mikromechanischer Schallwandler für Audio-Anwendungen auf der Basis der NED-Technologie.

Wie kam es zur Idee für die Innovation?

Angefangen hat alles mit der Erfindung neuartiger mikroelektromechanischer Biege-Aktoren. Aktoren setzen ein elektrisches Signal in mechanische Bewegung um und sind in der Elektronik unverzichtbar. Unser Experte Holger Conrad bekam in seiner Examensarbeit die Aufgabe, elektrische Spannung auf einem Halbleiterchip in Bewegung umzusetzen. Dafür sollte er Mikrospiegel herstellen, deren Form sich mithilfe von Piezo-Materialien, welche sich bei elektrischer Aufladung verkrümmen, elektronisch steuern ließ. Da das nicht funktionierte, versuchte Holger Conrad die elektrische Spannung direkt auf dem Siliziumchip in Bewegung umzusetzen. Auf diese Weise entwickelte er das Nanoscopic Electrostatic Drive (NED)-Prinzip. Die Idee ist spektakulär: Dank des NED-Prinzips werden schon bei Spannungen von weit weniger als 50 Volt große Auslenkungen erreicht. Durch geschickte Anordnung der elektrostatischen Zellen kann die Bewegung auf dem Chip kontinuierlich erfolgen. Das erlaubt die Anwendung als Schallwandler – sogar mit hoher Audioqualität.

Wie funktioniert das NED-Aktor-Prinzip konkret im Lautsprecher?

Das neue Schallwandlerprinzip besitzt keine herkömmliche Membran mehr. Vielmehr wurde die Membran gewissermaßen in Streifen zerlegt und in Form einer Vielzahl von Biegebalken – ähnlich der Saiten einer Harfe – in das Volumen eines Siliziumchips verlegt. Die nur 20 μm dünnen Biegebalken bilden mit ihrem integrierten, elektrostatischen Antrieb eine völlig neuartige Klasse elektrostatischer Biegeaktoren. Durch Anlegen einer Audiosignalspannung werden die NED-Aktoren zum Schwingen angeregt. Um den akustischen Kurzschluss beidseitig der Balken zu verhindern, hat das Entwicklungsteam um Bert Kaiser und Sergiu Langa Silizium-Waferschichten als Boden und Deckel mit geschickt angeordneten Aus- und Einlassschlitzen auf Ober- und Unterseite der Biegebalken angebracht. Dadurch wird ein komplett in Silizium-Technologie hergestellter Mikrolautsprecher realisiert.

Wie kommt die Erfindung im Ohr zum Einsatz? 

Die Idee für die Anwendung der NED-Technologie im Ohr geht auf unseren Institutsleiter Professor Dr. Harald Schenk zurück. Geräuschquellen erzeugen Druckwellen in der Luft, die unser Trommelfell zum Schwingen bringen. Das nehmen wir als Töne wahr. Verschließe ich das Ohr mit einem In-Ear-Kopfhörer, dann erzeugt der Lautsprecher Luftwellen und das Trommelfell schwingt mit. Dabei beeinflusst das Volumen der bewegten Luft die Lautstärke der Töne, der sogenannte Schalldruck. Die NED-Aktoren funktionieren wie schwingende Balken, die durch ihre Bewegung Luft verdrängen und so das Trommelfell anregen. Die neue Technologie ermöglicht Schalldrücke von bis zu 120 Dezibel, für so hohe Schalldrücke müssen im Gehörgang nur etwa 0,5 mm³ Luft bewegt werden. Vorteil der Siliziumtechnologie ist der hohe Miniaturisierungsgrad der NED-Lautsprecher. Das ermöglicht die Nutzung des so gewonnenen Raums in den Kopfhörern für weitere Funktionalitäten.

Welche Anwendungen sind neben der Audioübertragung im Ohr noch möglich?

Der hohe Miniaturisierungsgrad und die Energieeffizienz der Technologie eröffnen völlig neuartige, mobile Anwendungen. Als „Alexa im Ohr“ erlauben smarte Hearables zahlreiche Internetanwendungen wie Bezahldienste, Übersetzungen – und das alles sprachgesteuert, ohne Blick aufs Smartphone. Auch für den Einsatz in Hörgeräten ist das neue Schallwandlerprinzip attraktiv.

Wie unterstützt die Fraunhofer-Gesellschaft die Ausgründung?

Das Fraunhofer-Prinzip ist es, Wissen in die Anwendung zu bringen. Die Fraunhofer-Gesellschaft ist mit zunächst 25 % des Gesellschaftsvermögens am Start-up Arioso beteiligt und hat die NED-Technologie für das Anwendungsfeld „Audio“ exklusiv an Arioso lizensiert. Zudem verfügt das Fraunhofer IPMS über eine hervorragende Infrastruktur zur Fertigung der NED-Mikrolautsprecher in Kleinserien von mehreren zehntausend Stück pro Jahr. Diese Kompetenz ist für den erfolgreichen Markteintritt der Arioso unabdingbar und wird von den Arioso-Kunden sicher nachgefragt werden.

Wie geht es nach der Gründung weiter?

Der Start verlief dank der erstklassigen Arbeit der Wissenschaftler und Reinraum-Ingenieure des Fraunhofer IPMS sehr erfolgversprechend. Der Markt ist hochgradig interessiert an MEMS-basierten Mikrolautsprechern. Aktuell sind wir im Gespräch mit Unternehmen, die gemeinsam mit uns Produktperspektiven für die verschiedenen Anwendungen entwickeln möchten. Für Arioso bedeutet das, dass wir Funktionen nachweisen und Pilotserien fertigen wollen. Damit hat Arioso eine vielversprechende Geschäftsgrundlage. Ich blicke daher mit großer Zuversicht auf die weitere Entwicklung der Arioso Systems GmbH.

Vielen Dank für das Interview!